Die CAR-T-Zell-Therapie hat sich in den vergangenen Jahren von einer experimentellen Methode zu einer etablierten Option für schwer behandelbare hämatologische Neoplasien entwickelt. Ihr kuratives Potenzial gilt bei bestimmten Formen des aggressiven B-Zell-Lymphoms und weiteren hämatologischen Erkrankungen als belegt: Zahlreiche Patient:innen erreichen anhaltende Remissionen über mehrere Jahre hinweg. Dennoch bleibt der Zugang zu dieser Therapie weltweit stark begrenzt. Der aktuelle CAR T Vision Report* beschreibt detailliert, warum viele eligible, also für die Therapie geeignete Patient:innen die Therapie nicht erhalten, und formuliert ein internationales Handlungskonzept, dessen Ziel es ist, bis 2030 den Anteil der tatsächlich behandelten Patient:innen zu verdoppeln.
Therapeutisches Potenzial und aktueller Versorgungsstand
Seit den ersten FDA-Zulassungen im Jahr 2017 hat sich der Indikationsbereich der CAR-T-Zell-Therapie kontinuierlich erweitert. Studien belegen zum Teil langanhaltende Remissionen über fünf Jahre, auch in stark vorbehandelten Kollektiven.
Dennoch zeigt der Report klare Lücken in der realen Versorgung:
- In Europa erhalten im Durchschnitt nur 3 von 10 geeigneten Patient:innen mit einem großzelligen B-Zell-Lymphom (LBCL) eine CAR-T-Zell-Therapie.
- In den USA sind es sogar nur 2 von 10.
- In einzelnen Ländern – etwa Italien – liegen die Raten teils deutlich darunter.
Die Ursachen sind vielfältig und reichen von unzureichender Information über Engpässe bei den Behandlungskapazitäten bis hin zu Finanzierungs- und Erstattungsproblemen. Diese Faktoren führen häufig dazu, dass Patient:innen trotz bestehender Indikation Therapien nicht rechtzeitig erhalten oder stattdessen weniger effektive Optionen gewählt werden.
Zentrale Barrieren entlang des Behandlungspfads
Der CAR T Vision Report fasst die strukturellen Hindernisse in drei Hauptkategorien zusammen:
- Mangelnde Awareness und unzureichende Kenntnisse im klinischen Alltag
Die Identifikation geeigneter Patient:innen erfolgt in vielen Gesundheitssystemen zu spät. Überweisende Ärzt:innen haben zum Teil begrenzte Erfahrung mit CAR-T-Zell-Therapiepfaden oder sie unterschätzen die Dringlichkeit des rechtzeitigen Transfers an ein spezialisiertes Zentrum. Ebenso bestehen Defizite in der Aufklärung von Patient:innen und Angehörigen hinsichtlich Chancen, Risiken und logistischen Anforderungen. Zusätzlich mangelt es politischen Entscheider:innen und Kostenträger:innen häufig an transparenten Daten zur tatsächlichen klinischen und gesundheitsökonomischen Wirkung dieser Therapien.
- Limitierte Kapazitäten der Versorgungseinrichtungen
Die Konzentration der Behandlung in wenigen spezialisierten Zentren verursacht erhebliche Wartezeiten und weite Anfahrtswege. Viele Länder verfügen nicht über genügend autorisierte Einrichtungen, die die komplexen Anforderungen – von Apherese über Zellverarbeitung bis zur Behandlung von Komplikationen wie Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS) oder Neurotoxizität – abbilden können.
Zudem erschweren nicht harmonisierte Anforderungen der Hersteller und auch die Auflagen der einzelnen Länder bzw. der jeweils zuständigen Behörden für die Einrichtung von CAR-T-Zell-Zentren (siehe z. B. Anforderungen in Deutschland) sowie aufwändige Qualifikationsprozesse die Erweiterung des Zentrumsnetzwerks.
- Herausforderungen bei Finanzierung und Erstattung
Die initial hohen Therapiekosten stellen vielerorts ein Hindernis für zeitnahe Versorgung dar. Krankenhäuser tragen häufig erhebliche finanzielle Risiken, da die Erstattungsmechanismen unvollständig, verzögert oder nicht kostendeckend sind. Gleichzeitig fehlen verlässliche Real-World-Daten, die den langfristigen Nutzen – etwa weniger Rezidive, geringere Hospitalisationsraten und reduzierte Folgekosten – belegen und in Vergütungssysteme eingepreist werden könnten.
Die Vision: Zugang ausweiten, Chancen auf Heilung erhöhen
Die CAR T Vision definiert einen klar messbaren Leitzielwert: Verdoppelung des Anteils der behandelten im Verhältnis zu den eligiblen Patient:innen bis 2030. Dabei versteht die Initiative unter „Zugang“ das Verhältnis zwischen dem regulativ eligiblen und tatsächlich behandelten Kollektiv an Patient:innen.
Dafür schlägt der Report drei strategische Handlungsfelder vor:
- Awareness & klinische Steuerung verbessern
Die frühzeitige Identifizierung geeigneter Patient:innen ist entscheidend für den Therapieerfolg. Der Report empfiehlt standardisierte Entscheidungswege, vereinheitlichte Kriterien für Überweisungen sowie gezielte Fortbildungsprogramme für niedergelassene Onkolog:innen. Patient:innen und Angehörige sollen besser über Nutzen-Risiko-Profile, organisatorische Abläufe und potenzielle Belastungen informiert werden, um ihnen selbstbestimmte Therapieentscheidungen zu ermöglichen.
- Kapazitäten erweitern und Behandlungsstrukturen modernisieren
Die Autor:innen plädieren für ein stärker dezentralisiertes Versorgungsmodell, bei dem bestimmte Teile des Therapiepfads – etwa Apherese oder Nachsorge – wohnortnäher erfolgen können, ohne die Sicherheit der Behandlung zu beeinträchtigen. Zudem sollten die Akkreditierungsprozesse für Zentren harmonisiert und Doppelstrukturen reduziert werden. Effiziente Koordinationsstrukturen zwischen Zuweisern, Transplantationszentren und Herstellern sollen Wartezeiten verkürzen und Versorgungsengpässe entschärfen.
Steigendem Bedarf durch neue Indikationen muss mit vorausschauender Personal- und Ressourcenplanung begegnet werden.
- Nachhaltige und innovative Finanzierungsmodelle entwickeln
Der Report argumentiert, dass die hohen initialen Kosten durch langfristige Einsparungen – weniger Rezidive, weniger nachfolgende Therapielinien – kompensiert werden können. Dafür sind robuste Real-World-Daten unerlässlich.
Empfohlen werden wertbasierte Vergütungsmodelle, zeitnahe Kostenerstattungen für Krankenhäuser und langfristig tragfähige Finanzierungsansätze, die ein Gleichgewicht zwischen Innovation, Zugang und Systemstabilität ermöglichen.
Fallbeispiele: Praktische Umsetzung in verschiedenen Ländern
Der Anhang des Reports präsentiert internationale Beispiele erfolgreicher Initiativen, darunter:
- Spanien: nationale Leitlinien und das IDEaL-Projekt, das eine frühzeitige Identifikation geeigneter Lymphompatient:innen unterstützt.
- Österreich: Multi-Stakeholder-Round-Tables zur Ideengenerierung, Veröffentlichung eines Reports mit Handlungsempfehlungen für einen verbesserten Zugang zur CAR-T-Zell-Therapie.
- Großbritannien: Optimierung der Überweisungswege und datenbasierte Steuerung der Kapazitäten im ATTC-Netzwerk.
- Kanada und USA: Maßnahmen zur Entlastung der Zentren, verbessertes Case-Management und innovative Pilotmodelle zur Finanzierung.
Diese Beispiele zeigen, dass viele Lösungsansätze bereits realisiert werden können, wenn sektorübergreifende Zusammenarbeit und klare strategische Leitlinien vorhanden sind.
Ein Appell an das gesamte Versorgungssystem
Der Report endet mit einem deutlichen Aufruf an alle beteiligten Akteure – klinisches Personal, Kostenträger:innen, Politik, Regulatoren, Versorgungseinrichtungen und Industrie –, die strukturellen Barrieren konsequent abzubauen. Die CAR-T-Zell-Therapie biete in vielen Fällen eine realistische Chance auf langfristige Remission oder Heilung, doch diese Chance ist nur dann realisierbar, wenn Patient:innen sie auch tatsächlich erhalten.
Der Aufbau vernetzter Behandlungsstrukturen, transparenter Erstattungsmodelle, mehr klinische Aufklärung und eine deutliche Erweiterung der Versorgungskapazitäten gelten als wesentliche Schritte, um die Vision Wirklichkeit werden zu lassen.
Die zentrale Botschaft lautet: „It’s Time for CAR T“ – die Zeit zu handeln ist jetzt, denn jede:r nicht behandelte geeignete Patient:in bedeutet eine verpasste Chance auf potenzielle Heilung.
* Der aktuelle CAR T Vision Report ist öffentlich zugänglich unter:
www.cartvision.com/wp-content/uploads/2025/05/...Latest.pdf
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AT-UNB-1145