Anfang Mai dieses Jahres hat Antonia Müller die Professur für Zelltherapie und Transfusionsmedizin an der MedUni Wien übernommen und ist neue Leiterin der Universitätsklinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin. Nun ist es tatsächlich so, dass die Universitätsklinik mit dem etwas sperrigen Namen das Blutdepot der Universitätskliniken betreibt und das ganze Allgemeine Krankenhaus (AKH) mit Blutprodukten versorgt, darüber hinaus aber auch Stamm- und Immunzellen für hämato-onkologische Patienten gewinnt und asserviert, und einen großen Diagnostikbereich inklusive weitreichender transplantationsimmunologischer Untersuchungen betreibt. Nach langjähriger interimistischer Leitung ist mit der Bestellung von Professorin Müller allerdings auch eine neue Agenda verbunden, nämlich eine verstärkte Ausrichtung auf innovative Zelltherapien. Im geplanten „Center for Translational Medicine“ am AKH Campus soll die Klinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin eine Facility mit GMP-Hochreinräumen unterhalten, welche die In-House-Produktion und Manipulation verschiedener regenerativer Zellprodukte, wie z. B. auch chimärischer Antigenrezeptor-T-Zellen (CAR-T), möglich macht. Translationale Forschungsbestrebungen, die neuartige Zelltherapien auch für die klinische Anwendung weiterentwickeln, bleiben in Ermangelung der fehlenden räumlichen Infrastruktur v. a. in Europa vielfach theoretischer Natur. So werden gängige, in der Hämatologie angewendete Immunzelltherapien aktuell durch die Pharmaindustrie gestellt. Dabei würden klassisch akademisch ausgebildete Zelltherapeuten eigentlich dieses Feld nicht nur anwenden, sondern auch gerne mit vorantreiben. Das CTM wird neben einem „Center for Precision Medicine“ (CPM) und einem „Technology Transfer Center“ (TTC) das bestehende Anna-Spiegel-Forschungsgebäude ergänzen. Letztlich soll der Standort Wien in der Behandlung hämatoonkologischer, aber auch anderer Patienten zu einem Zentrum innovativer, personalisierter Behandlungskonzepte werden.
Professorin Antonia Müller lebte die letzten Jahre in der Schweiz, wo sie zuletzt Oberärztin mit erweiterter Verantwortung an der Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie am Universitätsspital Zürich war und dort – in Personalunion – das autologe Stammzelltransplantationsprogramm, das klinische Stammzelllabor und die Aphereseeinheit geleitet hat. Der springende Punkt ist ihre Expertise in der CAR-T-Zelltherapie, die sie in der Schweiz bereits bei vielen Patienten anwenden konnte und diese Patienten von der Apherese über die allfällige Intensivmedizin bis zur Nachsorge begleitet hat. Die aktuelle Aufgabe bedeutet allerdings auch einen Schritt weg vom Patientenbett.
Spectrum Onkologie: Waren Sie überrascht vom Angebot, eine Klinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin leiten zu können?
Univ.-Prof. Dr. Antonia Müller: In der Tat ist es so, dass ich keine klassische Blutgruppenserologin bin, allerdings hat sich die Bewerbung v. a. daraus ergeben, dass im Rahmen der Initiative des „Center for Translational Medicine“ (CTM) in Wien die Überlegung besteht, dass in diesem Komplex auch Hochreinräume zur Herstellung neuer Formen der Zelltherapie enthalten sein sollen und man damit den Bereich der regenerativen Zelltherapie im akademischen Setting stärken möchte. Meine Hauptaufgabe wird darin bestehen, Know-how und Infrastruktur in Bezug auf GMP-Labors zu entwickeln, die dann auch zusammen mit erforderlichen Hilfestellungen bei der Umsetzung translationaler Projekte mit In-House-Herstellung von Zellprodukten anderen Kliniken und Abteilungen angeboten werden können. Im Rahmen dessen wurde die Professur ausgeschrieben, man hat aber zeitgleich auch begonnen, proaktiv zu suchen. Die „Transfusionsmedizin“ ist nicht ein klassisches Fach, auf das sich 20 Spezialisten sofort bewerben würden. Vielmehr haben viele Ärzte falsche Vorstellungen dessen, was das sehr spannende und zukunftsweisende Fach eigentlich beinhaltet. Insofern kommen für derartige Positionen nur wenige Kandidaten in Frage, die die Motivation dafür mitbringen, in einem langfristigen Projekt die Infrastruktur für „regenerative Zelltherapien“ aufzubauen. Ein Teil des Hearings drehte sich um die Frage, wie man sich ein Konzept für eine solche Klinik vorstellt, und solche Fragestellungen machen mir persönlich auch großen Spaß, weil es hochspezialisierte, aber auch sehr interdisziplinäre Projekte beinhaltet. Wenn man perspektivisch in die Zukunft denkt, dann tut sich unglaublich viel Neues, gerade mit genmodifizierten neuen Zelltherapien, aber auch mit tumorinfiltrierenden Lymphozyten und anderen Formen der Immuntherapie in der Hämatologie und Onkologie. Ich selbst bin Hämato-Onkologin und komme ursprünglich aus der allogenen Stammzelltransplantation. Bezüglich CAR-T-Zelltherapien habe ich zuletzt in der Schweiz im Rahmen unseres großen CAR-T-Programms die Patienten vom Zeitpunkt der Zuweisung und Selektion über die Apherese, also die Zellgewinnung, bin hin zur Zellrückgabe, Nebenwirkungsmanagement und in der Nachsorge betreut. Zudem war ich für den Zelllaborbereich zuständig. Wenn man jedoch primär am Patientenbett steht, dann gibt es andererseits weniger Möglichkeiten zur Implementierung von Neuerungen, da die Patientenbetreuung verständlicherweise sehr zeitkonsumierend ist. Jetzt möchte ich dazu beitragen, dass man neue Therapieformen in die Klinik bringt, und in dieser Hinsicht ist Wien ein sehr attraktiver Standort. Mit den geplanten Zentren für translationale Medizin und auch Präzisionsmedizin gibt es ein Commitment, diese Bestrebungen in die Praxis umzusetzen, wie es derzeit nur an wenigen Stellen in Europa verfolgt wird.
Man hat derzeit den Eindruck, dass namhafte Kliniken weltweit an eigenen CAR-T-Zellen arbeiten, die dann im Einzelfall off label zum Einsatz kommen?
Prinzipiell muss man sagen: Im Grundlagenlabor ist alles vergleichsweise einfach, aber so ein Produkt dann tatsächlich in die Klinik zu übersetzen, daran scheitern die allermeisten. Am einfachsten gelingt so etwas bspw. in China. Dort sind die regulatorischen Hürden niedriger. In den USA wieder passiert viel über entsprechende Fundings, es werden so hohe Grants vergeben, dass damit einiges möglich und umsetzbar wird. Wir in Europa haben wenig Drittmittel oder Förderungsgelder in derartigen Höhen, dass wir daraus tatsächlich eine klinische Studie finanzieren könnten. Dessen ist man sich bewusst und deshalb gibt es auch Initiativen, dass sich Krankenhäuser, Uni-Kliniken zusammentun, um Konzepte und Lösungen zu erarbeiten. In diesen Bereich fällt etwa die European Hospital Alliance (EUHA), ein Zusammenschluss der größten Universitätskliniken Europas, die ihre Expertise in gemeinsame Projekte einbringen möchten, weil einer allein die Hürden in Europa kaum überwinden kann. Ich glaube, der Bedarf, dass wir noch besser werden, ist unglaublich hoch. Im Augenblick tut sich sehr viel. CAR-T-Zellen werden derzeit in der Hämatologie erfolgreich eingesetzt und sind bereits in der Routine verfügbar, allerdings nur über die Industrie zugänglich. Wir als Zelltherapeuten sind allerdings schon der Meinung, dass wir mit Zellen selbst arbeiten können, was wir ja im Bereich der Stammzelltransplantation seit Jahrzehnten tun, und möchten dieses Feld nicht gänzlich aus der Hand geben – sprich: Einfach nur Zellen wegschicken und zurückbekommen als fertiges Produkt, das wir entsprechend der Zulassung verabreichen können, aber nicht genau wissen, was enthalten ist, gefällt uns wenig. Als klassische Zelltherapeuten haben wir eigentlich den Anspruch, dass wir in diese Prozesse mehr involviert wären. Auf der anderen Seite ist es so, dass man, wenn man tatsächlich selber ein Produkt herstellen möchte, Zugang zu entsprechenden Reinräumen benötigt, in denen eine solche Herstellung mit Manipulation an den Zellen möglich ist. Anders als bei Experimenten in der Maus und in der Petrischale braucht es für Anwendungen im Patienten sehr strenge behördliche Bewilligungen, ebenso wie sehr hoch angesetzte Qualitätskriterien der Good Manufacturing Practice (GMP) erfüllt werden müssen. Damit soll ein hochwertiger Produktionsprozess einschließlich Lagerung der Produkte gewährleistet werden. Genau darum geht es: Eine entsprechende Infrastruktur soll in dem neuen CTM, Center for Translational Medicine, etabliert werden, und meine Aufgabe ist, diesen Prozess zu begleiten und voranzutreiben und anderen Kliniken und Abteilungen die Unterstützung unseres Teams für zukünftige Kollaborationen in dem Bereich der regenerativen Zelltherapie anzubieten.
In Österreich gibt es einen quer durch das Land einheitlichen – wenn man so will – Zugangsalgorithmus, in dem der gute bis optimale Patient für eine CAR-T-Zelltherapie einheitlich festgelegt ist. In Deutschland gibt es das nicht …
Antonia Müller: … in der Schweiz auch nicht, zumindest nicht für Lymphome. Es gibt etwas Ähnliches für Myelome, ist aber auch etwas, das überall sehr kontrovers diskutiert wird – natürlich, weil der Arzt sich nicht gerne dreinreden lässt und viele sich als eigenständig agierende Persönlichkeit sehen. So war es zumindest beim Aufkommen der Therapie in der Schweiz. Ich fand das nicht so gut und denke, definierte Kriterien sind wichtig, auch wenn sie regelmäßig an den neuesten Kenntnisstand angepasst werden müssen. Zudem bin ich der Meinung, dass, wer so dermaßen teure Therapien verordnen möchte, auch gewillt sein muss, diese Behandlung gegenüber anderen Experten zu begründen und zu rechtfertigen. Das hören aber viele ärztliche Kollegen nicht gerne. Hier in Österreich gibt es ein nationales Tumorboard, in dem nach definierten Standard die Patienten zunächst aufgearbeitet und besprochen werden – und dann gemeinsam im Expertengremium über die Therapie entschieden wird.
Ein Punkt ist, dass bei weniger strikt ausgelegten Kriterien mehr Patienten für die Therapie qualifizieren, die daraus abgeleiteten Real-World-Daten dann aber vielleicht nicht ganz den Erwartungen entsprechen, was für die Beweisführung des Nutzens der Therapie, insbesondere in ihren Anfängen, auch nicht ganz bedeutungslos ist?
Ja, das ist ein schwieriges Thema, für welches wir im Augenblick noch keine perfekte Lösung haben. Patientenselektion ist immer eine Gratwanderung: Wenn nur die Patienten eine Behandlung bekommen, die die höchste Wahrscheinlichkeit haben, von der Therapie zu profitieren, dann bedeutet dies umgekehrt unter Umständen auch, diejenigen abzulehnen, die den höchsten Therapiebedarf hätten. Wenn also die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient mit schlechter Prognose von der CAR-T-Zelltherapie profitiert, bei lediglich 20 % liegt, eben dieser Patient aber z.B. sehr jung ist, darf ich diesem jungen Patienten dann seine 20%ige Chance nehmen? Und darf ich einem 30-jährigen Patienten die Chance nicht nehmen, einem 50-jährigen aber schon? Im Kontext akuter Leukämien und der allogenen Stammzelltransplantation, die ja eine ebenfalls sehr teure Therapieform darstellt, führen wir auch Behandlungen durch, von denen wir wissen, dass die Heilungschancen (mit Stammzelltransplantation) für bestimmte Leukämie-Subtypen bei unter 30% liegen. Ich habe leider für diese Problematik keine perfekte Lösung und finde es ethisch ein ganz schwieriges Thema. Hilfreich ist, wenn man sich vor Augen hält, dass die Anfangsjahre immer hart sind. Wir müssen möglichst schnell Erfahrungen sammeln. Ein Punkt dabei ist, dass nicht zu viele Zentren sehr wenige Patienten mit CAR-T-Zellen behandeln, sondern man es gerade in der Anfangsphase wenigen Zentren ermöglicht, in kurzer Zeit möglichst viele Erfahrungen zu sammeln. Nur so können die Teams lernen, in welchem Setting eine Therapie wirklich keinen Sinn macht, oder aber, ob frühzeitig nach der Therapie bei bestimmten Patienten zusätzlich immunmodulatorische Substanzen eingesetzt werden könnten, die die Immunantwort der CAR-T-Zellen möglicherweise verbessern. Wenn man nur zwei oder drei Patienten im Jahr behandelt, dann braucht es unendlich lange, bis man tragfähige Erfahrungen sammelt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass CAR-T-Zellen in der Hämatologie erfolgreich eingesetzt werden. Es wird mit Hochdruck auch an CAR-T-Zellprodukten für die Behandlung von soliden Tumoren gearbeitet. Nichtsdestotrotz müssen wir noch sehr viel besser werden. In dieser Hinsicht ist eine gute Zusammenarbeit der großen akademischen Zentren, aber auch akademischer Zentren mit der Industrie und regulatorischen Organen gefordert.